Rechtsprechung
Hier finden Sie eine Auswahl derjenigen Fälle aus der aktuellen Rechtsprechung auf dem Gebiet des Arzthaftungsrechts dargestellt, die den in den Kanzlei Dr. Vachek Rechtsanwälte tätigen Fachanwälten für Medizinrecht besonders interessant erscheinen. Die einzelnen Fälle können auch Ihnen als erste Einschätzung dafür dienen, zu erkennen, inwieweit in Ihrem Fall ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt oder ob sich lediglich eine Komplikation verwirklicht hat, die zwar einen Schaden verursacht hat, jedoch keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gibt.
Gutachten gehen ärztlichen Leitlinien vor
Mehr lesen Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten. BGH vom 15.4.2014, Az. VI ZR 382/12
Aufklärung über Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung
Mehr lesen Kann eine Geburt vaginal erfolgen, bedarf es keiner Einwilligung der Mutter und dementsprechend keiner speziellen Risikoaufklärung. Dafür darf die vaginale Entbindung nicht mit besonderen Risiken verbunden sein. Schwere Adipositas der Mutter steht in aller Regel der Indikation einer Schnittentbindung wegen des hohen Operationsrisikos entgegen. Kann infolge unterbliebener Dokumentation nicht mehr festgestellt werden, wie eine Schulterdystokie gelöst wurde, lässt sich bei typischen gesundheitlichen Folgen zugunsten des klagenden Kindes mit Wahrscheinlichkeit auf den dann von der Behandlungsseite zu widerlegenden Behandlungsfehler schließen. OLG Naumburg, Urteil vom 10.4.2014, Az. 1 U 77/13
Anspruch eines beigeordneten Rechtsanwalts auf Kostenvorschuss für ein Privatgutachten
Mehr lesen Zu der Vergütung eines PKH-Anwalts im Sinne von § 47 Abs. 1 RVG zählen auch Auslagen, soweit sie zur sachgemäßen Durchführung seines Auftrags erforderlich sind, z. B. die Kosten für die Einholung eines für die sachgerechte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung seiner Partei erforderlichen Privatgutachtens. Dem beigeordneten Rechtsanwalt ist für derartige Auslagen aus der Staatskasse ein angemessener Vorschuss gem. § 47 Abs. 1 S.1 RVG zu gewähren. OLG Hamm, Beschluss vom 14.5.2013, Az. I-25 W 94/13, 25 W 94/13
Rezeptsammlung durch Apotheke im Supermarkt unzulässig
Mehr lesen Eine Apotheke darf in einem Supermarkt keine Box zum Sammeln von Rezepten aufstellen, um die bestellten Medikamente dann durch einen Botendienst nach Hause liefern zu lassen. Eine solche Rezeptsammlung stellt weder eine erlaubte unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln an Kunden in Präsenzapotheken noch einen erlaubnispflichtigen Versand von Arzneimitteln dar und ist damit unzulässig. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 2. Juli 2018, Az.: 13 A 2289/16
Keine Haftung für ungewollte Schwangerschaft bei Hinweis auf begrenzte Aussagekraft AHM-Wert
Mehr lesen Ein Gynäkologe haftet dann nicht für das Eintreten einer ungewollten Schwangerschaft, wenn eine 45-jährige Frau trotz des ausdrücklichen Hinweises des Arztes auf die begrenzte Aussagekraft des Anti-Müller-Hormones die notwendige weitere Verhütung unterlässt. Da die Klägerin vom behandelnden Gynäkologen auf die begrenzte Aussagekraft des AHM-Wertes und die Notwendigkeit einer weiteren Verhütung hingewiesen wurde, kann keine Haftung abgeleitet werden. OLG Hamm, Urt. v. 23. Februar 2018, Az.: 26 U 91/17
Beweis des Inhalts eines Aufklärungsgesprächs
Mehr lesen Der Inhalt eines streitigen Aufklärungsgesprächs kann niemals allein durch Bezugnahme auf einen Aufklärungsbogen festgestellt werden. Vielmehr müssen die benannten Zeugen zum Gesprächshergang vernommen werden. KG Berlin, Urteil v. 12.03.2018, Az.: 20 U 127/16
Keine Anwendung BDSG auf Herausgabeverlangen des Patienten
Mehr lesen Die Vorschriften des BDSG stehen dem Herausgabeverlangen eines Patienten nicht entgegen. Das BGB (konkret: § 630g Abs. 2 BGB) enthält hinsichtlich der Herausgabe von Behandlungsunterlagen eine spezielle Vorschrift, die den subsidiär anwendbaren Regelungen des BDSG vorgeht (§ 1 Abs. 3 BDSG). Daher ist das BDSG auf ein Herausgabeverlangen des Patienten nicht anzuwenden. Dies muss gerade auch vor dem Hintergrund des Zwecks des BDSG gelten, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird (vgl. § 1 Abs. 1 BDSG). In Fallen, in denen der Patient selbst die Herausgabe der seine Behandlung betreffenden Unterlagen verlangt, kommt denklogisch eine Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts nicht in Betracht. OLG Hamm, Urt. v. 2. Januar 2017, Az.: 3 W 43/16
Anordnung der Vorlage der Behandlungsunterlagen im selbständigen Beweisverfahren
Mehr lesen Auch bereits im selbständigen Beweisverfahren, das der Verfahrensvermeidung und -beschleunigung dient, kann das Gericht die Vorlage der Behandlungsunterlagen nach §142 ZPO anordnen, da diese notwendiger Bestandteil der zu beurteilenden Behandlung sind und die Behandlerseite nach § 630g BGB eine Pflicht zur Gewährung von Einsicht in die Behandlungsunterlagen trifft. Daher ist die Anordnung der Vorlage von Behandlungsunterlagen zur Vorbereitung einer sachverständigen Begutachtung zulässig und geboten. Nur wenn dem Sachverständigen auch die Behandlungsunterlagen zur Verfügung stehen, kann ernsthaft damit gerechnet werden, dass das Ergebnis der Begutachtung die Entscheidung der Parteien über die Durchführung eines Hauptverfahrens beeinflussen kann. OLG Nürnberg, Urt. v. 14. März 2017, Az.: 5 W 1043/16
Sekundäre Darlegungslast bei Hygienemängeln
Mehr lesen Trägt der Kläger substantiiert zu einem Verstoß gegen Hygienepflichten vor, so obliegt es dem Behandelnden im Rahmen der sekundären Darlegungslast, vorzutragen, welche Maßnahmen er getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Hygienebestimmungen eingehalten werden. BGH, Beschluss v. 16. August 2016, Az.: VI ZR 534/15
Keine sachliche Kongruenz der Leistungen bei Blindengeld
Mehr lesen Sachliche Kongruenz liegt vor, wenn sich die Ersatzpflicht des Schädigers und die Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers ihrer Bestimmung nach decken, also die Leistung des Sozialhilfeträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienen. Der Landesgesetzgeber habe bei seiner Entscheidung zur Zahlung von Blindengeld jedoch im Gegensatz zur Blindenhilfe nach SGB wegen der schweren Belastungen, die die Blindheit mit sich bringt, unabhängig von jeglichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und auch der Erforderlichkeit im Einzelfall pauschale Leistungen für gerechtfertigt gehalten. Das Blindengeld soll die Nachteile der Behinderung mildern, die Teilhabe am Leben der Gesellschaft ermöglichen und ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben erleichtern sowie die Pflegebedürftigkeit vermeiden oder zumindest vermindern. Die im Sozialrecht dafür vorgenommene völlig abstrakte Berechnung des Blindengeldes, die für sich gar nicht in Anspruch nimmt, jeglichen Mehraufwand abzudecken, ist auf den für den Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X maßgeblichen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch kaum übertragbar, weil nach haftungsrechtlichen Gesichtspunkten allein auf den tatsächlich entstandenen blindheitsbedingten Mehrbedarf abzustellen ist. Dann aber sei sachliche Kongruenz zu verneinen. OLG Hamm, Urt. v. 9. September 2016, Az.: 26 U 14/16